…und wie kam es dazu?

Gaza vor dem 7. Oktober
Ca. 70% der Bevölkerung Gazas sind Geflüchtete und ihre Nachkommen, deren Dörfer und Städte im Zuge der Staatsgründung Israels zerstört wurden. Auf den Ruinen dieser Dörfer wurden Kibbuzim errichtet, die wenige Kilometer von Gaza gelegen sind und in denen heute jüdische Israelis leben.
Unterdessen ist Gaza seit fast 20 Jahren hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Die Menschen leben unter einer erdrückenden Militärblockade, die 2024 in einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes für völkerrechtswidrig erklärt wurde. Israel hat die volle Kontrolle über Gazas Küste, Land und Luftraum. Dies bedeutet in der Praxis, alles, was Gaza betritt oder verlässt – Lebensmittel, Medikamente, wie auch Menschen – muss von Israel genehmigt werden. Zeitweise nutzte Israel dabei ein System der Kalorienkalkulation, um die Bevölkerung minimal über dem Hunger-Level zu halten: Zugelassene Lebensmitteleinfuhren nach Gaza wurden dabei auf 2279 Kalorien pro Kopf beschränkt.
Selbst Gazas Fischerei, eine der wenigen Quellen für die Grundversorgung der eingepferchten Bevölkerung, wird von Israel beschränkt. Militärschiffe patrouillieren dauerhaft Gazas Küste und beschießen regelmäßig Fischerboote, die sich aus der von Israel vorgegebenen Fischereizone bewegen. Das von Israel kontrollierte Grundwasser war bereits lange vor dem 7. Oktober zu 97% kontaminiert und nicht für den menschlichen Konsum geeignet. Stromzufuhr, welche ebenfalls von Israel kontrolliert wird, und nach Belieben abgeschaltet werden kann, ist seit Jahren auf durchschnittlich 4 Stunden pro Tag beschränkt.
Alle paar Jahre ist das dicht besiedelte Wohngebiet des Gazastreifens außerdem massiven Luftangriffen ausgesetzt, die in Israel als “Rasenmähen” bezeichnet werden. In der Folge wurde Gaza bereits 2017 offiziell von den Vereinten Nationen als unbewohnbar erklärt. Selbst israelische Generäle, Jurist:innen und Historiker:innen bezeichneten den Gazastreifen in der Vergangenheit wiederholt als “Freiluftgefängnis“ oder Konzentrationslager.
Gewaltfreier Widerstand?
Ohne politische Lösung in Aussicht stehen Palästinenser:innen in Gaza und in den gesamten besetzten Gebieten mit dem Rücken zur Wand. Versuche der diplomatischen Verhandlungen, unter ungleichen, asymmetrischen Bedingungen, scheiterten. Die Oslo-Abkommen der 90er Jahre haben weder die versprochene Selbstbestimmung, noch die Rückkehr der Vertriebenen bewirken können.
Bis heute stehen in Gaza alleine 8 Flüchtlingslager, weitere 19 im gesamten Westjordanland, in denen die Menschen in ghetto-ähnlichen Umständen leben. Unterdessen schritten Landraub und illegaler Siedlungsbau seit Oslo unter dem Deckmantel eines Friedensprozesses umso rasanter voran. Heute leben fast 1 Millionen illegale Siedler:innen auf palästinensischem Land. Dennoch werden der sogenannten Zwei-Staaten-Lösung bis heute Lippenbekenntnisse von westlichen Politiker:innen gezollt – lange nachdem verschiedene israelische Regierungen wiederholt betont haben, dass die Gründung eines palästinensischen Staates niemals eine Option sein wird (zuletzt erneut von Netanjahu).
Auch territorial ist eine Zwei-Staaten-Lösung längst nicht mehr umsetzbar: Israel hat Fakten ‘on the ground‘ geschaffen. Das gesamte Westjordanland ist durchzogen von illegalen Siedlungen, Militärcheckpoints und Jewish-only Straßen, die kein zusammenhängendes Territorium für einen zukünftigen palästinensischen Staat mehr lassen. Palästinensische Städte und Gemeinden sind fragmentiert und voneinander abgeschnitten. Währenddessen schreiten Zwangsvertreibungen und ethnische Säuberungen wie im annektierten Ost-Jerusalem weiter voran.
Versuche des zivilen Ungehorsams gegen eine Realität, die von IGH, UN und allen relevanten Menschenrechtsorganisationen als Apartheid eingestuft wird, werden brutal niedergeschlagen: Fast täglich werden Menschen am helllichten Tag erschossen, die schuldigen Soldat:innen kaum vor Gericht gestellt. Protestierende werden willkürlich inhaftiert und gefoltert, jährlich werden laut Amnesty International hunderte von Kindern monatelang gefangen genommen, viele gerade mal 12 Jahre alt.
Oft wird ihnen lediglich das Werfen von Steinen auf Besatzungssoldat:innen vorgeworfen, deren alleinige Präsenz bereits völkerrechtswidrig ist. Auch in Gaza verhallten Versuche des gewaltfreien Widerstands weitestgehend unbemerkt von der Weltgemeinschaft: Im Jahr 2018 protestierten Palästinenser:innen friedlich über Monate hinweg am Grenzzaun und wurden dabei von Scharfschützen niedergeschossen, unter ihnen zahlreiche Kinder, Fotograf:innen und Sanitäter:innen. Währendessen werden andere Fromen des zivilen Protestes wie die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) als antisemitisch diffamiert.
Der 7.10. – eine antisemitische Terrorattacke?
Vor diesem Hintergrund der langen Verzweiflung und Perspektivlosigkeit ist die Strategie der Geiselnahme zum Erzwingen von Verhandlungen und einem Gefangenenaustausch am 7. Oktober einzuordnen. Zweifellos wurden am 7. Oktober unbewaffnete Menschen getötet und als Geiseln genommen. Zwei Drittel der Getöteten waren keine aktiven Besatzungssoldat:innen im Einsatz. Es bleibt jedoch unklar, wie viele davon vom israelischen Militär selbst getötet wurden. Zuletzt bestätigte der ehemalige Verteidigungsminister Yoav Gallant, dass Israel am 7.Oktober die sogenannte “Hannibal-Direktive“ nutzte. Dabei werden gezielt eigene Soldat:innen und Zivilist:innen getötet, um eine Geiselnahme zu verhindern.
Ausgebrannte Fahrzeuge und Gebäude belegen bestätigte Panzer- und Luftangriffe am 7. Oktober, die zahlreiche Todesopfer forderten und massive Zerstörung hinterließen – weit über das hinaus, was palästinensische Kämpfer mit primitiven Waffen hätten anrichten können.
Die westliche Berichterstattung basiert jedoch bis heute auf belegbaren Fabrikationen und Verzerrungen, die maßgeblich dazu beitrugen, den Vernichtungskrieg gegen Gaza zu rechtfertigen. So musste das weiße Haus unter Biden die nachweisliche Kriegspropaganda, es habe 40 geköpfte Babys gegeben, zurücknehmen. Dennoch wurde sie weiter unkorrigiert in der deutschen Presse verbreitet. Auch gibt es bis heute weder Videoaufnahmen, forensische Beweise noch dokumentierte Zeugenaussagen von Betroffenen zu konkreten Vergewaltigungsfällen. UN-Berichte belegen hingegen weitreichende sexualisierte Gewalt in israelischen Gefängnissen, zu der in der deutschen Presse geschwiegen wird. Selbst ein Video, in dem 10 Soldaten zu sehen sind, wie sie im August 2024 einen palästinesischen Gefangenen vergewaltigen, rief keinen Aufschrei hervor. In israelischen Medien sowie in der Knesset wurde unterdessen öffentlich Vergewaltigung als legitimes Mittel in Gefängnissen verteidigt, während hochrangige Minister die Freilassung der Soldaten forderten. Es kam zu keiner Verurteilung, der Palästinenser starb an den Folgen der Gruppenvergewaltigung.
Die Charakterisierung des 7. Oktober als „größtes antisemitisches Massaker seit dem Holocaust“ verkennt, dass die Motivation eines solchen Angriffs kein ahistorischer Hass losgelöst von den tatsächlichen Lebensumständen war. Palästinenser:innen brachen aus Gaza aus und setzten sich gegen ihre Besatzer:innen zu Wehr, nicht weil diese jüdisch sind, sondern weil sie ihnen seit Jahrzehnten ein Leben in Würde und Freiheit verwehren. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen am 7. Oktober von palästinensischen Kämpfern und wie viele durch die Hannibal-Direktive getötet wurden: Israel verweigert unabhängige Untersuchungen, wie auch zu den Vorwürfen der Vergewaltigung. Klar ist jedoch, ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben.
https://time.com/6548068/palestinian-children-israeli-prison-arrested
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